Ist natürliches Gebären überholt?
Hintergründe und Überlegungen zum
sogenannten „Wunschkaiserschnitt“
Von Jutta Ott-Gmelch, Hebamme und Journalistin
Für BfHD e.V. / „Hebammen-Info“ und Presse
Täglich wird in verschiedensten Fernsehprogrammen mit Bildern von Geburten Quote gemacht; dabei wird beim Live-Kaiserschnitt mit Zoomaufnahmen in den geöffneten Bauch und selig-lächelnden bleichen Frauen auf dem OP-Tisch der Anschein erweckt, es handele sich um eine ganz normale, nur eben etwas „modernere“ Geburt. […]
In einer Zeit, in der Frauen vermeintlich unüberwindliche persönliche Eigenschaften ihres Körpers ganz selbstverständlich durch Chirurgen lösen lassen, ist es zwangsläufig, dass durchschnittlich sozialisierte Frauen eine der letzten „Leistungen“ unseres Körpers, die wir nicht bereits im Griff haben, vorher erlernen und üben können, diese unbekannte und Angst auslösende Situation kontrollieren wollen.
Die normale Geburt ist eine letzte Unwägbarkeit unseres durchgeplanten, durchgestylten Lebens – in dem „Abenteuer“ und das Sich-Einlassen auf Nie-Erlebtes höchstens noch im Freizeitbereich mit seinen „FUN-Events“ toleriert, bzw. sogar gewünscht ist.
Da kommt das verlockende Angebot der Mediziner, schnell (30-40 min dauert die OP), vermeintlich schmerzfrei (was eine große Lüge ist! Vor allem die Tage und Wochen danach verlaufen schmerzhaft und mit Einschränkungen!) und ’sauber‘ zu seinem Kind zu kommen: dies wird kaum reflektiert angenommen.
Die Macht der Medizin über die Frauen, wissenschaftlich in endlose Risikokataloge gepresst, tut ein übriges. Allein der Mutterpaß listet 51 Risiko-Einstufungen auf; die Anlage „1c“ zum Ultraschall nochmals eine lange Liste.
Und was verlockt neben der Zeitersparnis und dem höheren Profit die MedizinerInnen?
Zunehmend gerät die Geburts“hilfe“ in das Visier von Juristen und oft sind Geburtsverläufe Jahre später Gegenstand von Schadensersatzprozessen.
Was liegt da näher, als defensiv auf die „für alle Beteiligten leichteste“ Methode auszuweichen?
Es entwickelt sich eine fatale Triade aus Lifestyle-Strömungen („ich laß mich operieren“), knallharten wirtschaftlichen Interessen und vordergründig größerer juristischer Sicherheit.
Ein Beispiel – und eine nicht zu ferne Utopie:
wenn, wie in den städtischen Regionen Brasiliens z.B. die Kaiserschnittgeburt als übliche Methode durchgesetzt werden könnte und die Kaiserschnittrate auf mehr als 90% getrieben werden könnte, würde dies die gesamte Geburtshilfe verändern – in erster Linie in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Trend zur Schließung kleinerer geburtshilflicher Abteilungen könnte, ganz im Sinne sparwütiger PolitikerInnen und der Kostenträger! – maximal verstärkt werden.
In jeder Stadt müsste nur noch ein minimalst besetzter Not-Dienst gehalten werden für die wenigen Frauen, die normal gebären wollen oder die wenigen, die vor ihrem geplanten Kaiserschnitt Wehen bekommen.
Zigtausende von schichtdienstleistenden Hebammen und ÄrztInnen würden wegrationalisiert, zur im Halbstunden-Takt geplanten Kaiserschnittgeburt werden OP-Teams und ohnehin vorhandene Pflegekräfte gebraucht, keine Hebammen mehr.
Die Frühentlassung nach der Operation nach 4-5 Tagen ist bereits heute üblich. Die in den USA übliche Entlassung nach 2, maximal 3 Tagen ohne weitere Nachsorge könnte auch hierzulande Standard-Praxis werden.
Risikolose Live-Style-Operation?
Von FrauenärztInnen unter dem Deckmäntelchen der weiblichen Selbstbestimmung und mit medizinisch nicht nachgewiesenen angeblichen Vorteilen großzügig angebotene Kaiserschnitte stellen nach wie vor eine invasive, mit erheblichen Risiken behaftete Operation dar. Von den mindestens 3 von 1000 Frauen (je nach Klinik und Region bis zu 8 von 1000 Frauen), die beim oder nach dem Kaiserschnitt sterben und den vielen Frauen, die Folgeschäden oder Infektionen erleiden, erfährt die umworbene Patientin nichts.
In neuesten Studien wurde nachgewiesen, dass es bei Schwangerschaften und Geburten nach einem Kaiserschnitt mit der derzeit modernsten Operationstechnik (sog. „nach Misgav-Ladach“) zu um den Faktor vier vervielfachten Rissen der Gebärmutter kommt. […] Diese, aus der Not der Entwicklungshilfe geborene, in den letzten Jahren für die erste Welt entdeckte Nahttechnik, spart in erster Linie Nahtmaterial und verkürzt die Operationszeit wesentlich. Dies wird jedoch im Aufklärungsgespräch nicht erwähnt, sondern nur die schnellere Erholungszeit der operierten Frau wird argumentativ in den Vordergrund gestellt.
Was diese Operationstechnik an langfristigen Schädigungen bewirkt wird unterschlagen: u.a. wunderte sich ein kalifornischer Pathologe, dass er in drei aufeinander folgenden Jahren zehnmal so viele sog. Placentae percretae zu untersuchen hatte. Diese früher sehr seltene Komplikation der Nachgeburtslösung, die auf einer zu tiefen Ansiedlung in der Gebärmutterwand beruht, hat offensichtlich seine Hauptursache in den vorangegangenen Kaiserschnitten, bzw. deren Vernarbungen. […]
Wie konnte es zu dieser Trendwende in der Geburtsmedizin kommen?
Eine fast lebenslange Sozialisierung in Angst und Verunsicherung, systematisches Inkompetent-Halten der jungen Frauen und der vielbeschworene Wertewandel einer extrem gering frustrationstoleranten Gesellschaft sind der Nährboden dieser Entwicklung.
Jahrelange Verunsicherung, die oft schon in der Pubertät beginnt, in der die junge Frau lernt, dass sie ihre Weiblichkeit regelmäßig im „Gyn-TÜV“ überprüfen zu lassen habe, Kontrolle durch das Medizinsystem und die angstfördernde Wirkung der einschlägigen Presse fordern ihren Tribut.
Maßnahmen der Schwangerenvorsorge ebenso wie manch wohlmeinender Rat von SchulmedizinerInnen suggerieren der Frau, ein defekthaftes Wesen zu sein, das ohne Substitution nicht gesund schwanger-gehen und gebären kann.
Von der Vertraulichkeit zur Vertraglichkeit
Mit der verschärften Kommerzialisierung der Mutterschafts-Vorsorge mutiert die gesunde Schwangere zur Service-Patienitn. Wie F. Haverkamp es auf den Punkt brachte: „…Die ursprüngliche Vertraulichkeit wird durch eine Vertraglichkeit ersetzt.“
Konsequenz daraus: für den Service-Anbieter (früher „Helfende und Heilende“, jetzt „Gesundheitsdienstleister“) ist es wichtig, lukrative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden „schmackhaft“ zu machen. Noch besser: die Betreute kommt nach entsprechender tendenziöser Beratung und Verunsicherung selbst darauf, soviel wie irgend möglich an Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu wollen/zu müssen.
Viel hilft viel!?!
Spätestens in der Pubertät entwickelt sich, je nach elterlichen und anderen sozialen Einflüssen und unter dem Erleben körperlicher Entwicklung eine individuelle „sexuelle“ Persönlichkeit. Längst nicht erforscht sind die Faktoren, die die Gefühle und Einstellungen des Mädchens zu ihrem Körper und seiner Lustfähigkeit bestimmen.
Zunehmend haben die Massenmedien und weitverbreitete Schönheitsideale prägenden Einfluss. U.a. werden Schönheistoperationen teils schon von 15-jährigen nachgefragt – und sogar von Eltern unterstützt! Unschwer zu vermuten, in welcher schädlichen Weise sich diese Trends auf die Bereitschaft der Mädchen, sich anzunehmen, wie sie sind und freundlich mit ihrem Körper umzugehen, auswirken. Ein Körper, der als mangelhaft empfunden wird, wird eher als „Feind“ betrachtet, statt als eine Quelle von Freude und sinnlicher Lust erfahren zu werden.
Verängstigte Menschen sind folgsame „Medizin-Kunden“…
Leider verfestigt sich das negative Bild in den Teeny-Jahren oft noch dadurch, dass die Jugendliche ihren reifenden weiblichen Körper durch entsprechende Sozialisation als bedrohlich erfährt: noch immer ist es für viele Mütter selbstverständlich, ihre 14, 15jährigen Töchter zur(m) GynäkologInnen zu schicken mit den Worten: „Du musst jetzt bald mal zum Frauenarzt gehen, um Dich untersuchen zu lassen, zur Kontrolle, ob alles in Ordnung ist…“ – Im Klartext heißt dies doch, dass der weibliche Körper von sich aus als defizitär oder zumindest reparaturanfällig wahrgenommen wird, dass Weiblichkeit recht gefährlich ist und von – oft männlichen – Autoritätspersonen überprüft und überwacht werden muss.
Welche Mutter rät dagegen ihrem pubertierenden Sohn, einen Urologen beispielsweise prüfen zu lassen, „ob das Gewicht der Hoden stimmt“ oder Vergleichbares.
Verunsicherung und medizinische Kontrolle werden verinnerlicht – offensichtlich gewünscht durch ein Medizinsystem, das Schwangerschaft und Geburt als „Krankheit“ einordnet. Darüber hinaus sind die vielfältigen Kontrollen, Untersuchungen, Überwachungen und medizinischen Eingriffe ein höchst lukrativer Markt. So verschlingen die teilweise auch unter Medizinern sehr umstrittenen künstlichen Befruchtungen in Berlin mehr als zehn Prozent des gesamten Bedarfs der Frauenheilkunde! (Dies enthält alle gynäkologischen und geburtshilflichen ärzlichen Leistungen, inkl. aufwändiger Krebsbehandlungen.)
Ein weiterer Punkt, an dem die Medizin Frauen in ihren „Fängen“ hält: das Monopol relativ sicherer Verhütung hält noch immer die Medizin.
Schwangerschaft – in „guter Hoffnung“ trotz Rasterfahndung?!
Viele Frauen erleben die Veränderungen ihres Körpers in der Schwangerschaft mit staunender Freude und ihnen wird die Kraft und Kompetenz ihres Körpers deutlich. Hoffen wir, dass die Schwangerenbegleitung entsprechend empathisch und unterstützend ist.
Zumeist jedoch bekommt die Mutterschaftsbetreuung den Charakter der Rasterfahndung nach Risiken und Gefahren. Schon der Beginn der Schwangerschaft wird von Zweifeln an der Gesundheit und Kompetenz überschattet. Oft ist das Ersttrimester-Screening der Einstieg in ein sich immer schneller drehendes Rad von Beratung in die Angst und Unsicherheit hinein, untermauert von einer Diagnostik hin zur Pathologie.
Die oft in früher Jugend begonnene Sozialisation zu Angst und Entfremdung vom eigenen Körper setzt sich massiv fort. Wie soll eine verängstigte Frau, die auf alle möglichen Zeichen von Unfähigkeit oder Krankhaftem achtet, die mit strikten Regeln geradezu überschwemmt wird und mit allerlei Substitutionsmitteln versorgt wird, Freude am Wachsen und Werden empfinden? Wie soll diese Frau sich der physiologischen Kompetenz und ihrer, wie ich es nennen möchte, „generativen Potenz“ bewusst werden und diese lustvoll geniessen?
Schwangerschaft und Geburt – der einzige wirkliche „Schöpfungsakt“ des Menschen
Die Schwangerschaft bedeutet körperlich den biologischen Akt des „Sich-zur-Verfügung-Stellens“ und des „Boden-Bereitens“ für das sich entwickelnde Kind. Nie im Leben kann eine Frau solche Potenz und Kompetenz erleben wie in der Schwangerschaft und in den Stunden der Geburt – ein zutiefst sinnliches und sexuelles Erlebnis, das stärken und bestätigen kann und soll!
Primäre Aufgabe der „GEBURTSHILFE“ ist eine empathische Unterstützung des natürlichen Vorgangs – die Helfenden müssen zurücktreten und der Frau ermöglichen, so selbstbestimmt und autonom wie möglich zu gebären.
Denn: die Frau „leistet“ die Geburt, nicht das Fachpersonal!
Fachleute jedoch, zumal wenn sie in der Ausbildung gelernt haben, zu „behandeln“ und das „Eingreifen“ und „Lenken“ verinnerlicht haben, nehmen der Frau diese Erfahrung ihrer Fähigkeit und Stärke. Ein elementares Geschehen, das die Urgewalt der Natur, Macht und Potenz verkörpert.
Wirkt es da nicht irgendwie verständlich, wenn (Fach-)Männer sich nur zu gerne dieses Aktes bemächtigen – sei es im Labor oder OP-Saal?
Provokativ, wenn wir die Sichtweise einmal umdrehen, die Frau anzuerkennen als die Starke, Kompetente, das Wesen, das Zukunft durch ein Kind gestaltet, als diejenige Mit MACHT wahrnehmen!
Was können wir freiberuflichen Hebammen und die außerklinische Geburtshilfe dagegen setzen?
„High-Touch“ statt „High-Tech“
Wir bieten einen anderen, fälschlicherweise „alternativ“ genannten Weg an: die natürliche Geburt ist keine „Alternative“, sondern schlichtweg seit ewigen Zeiten der richtige und angemessene Weg der Geburt.
Wir schlagen vor, anstelle des „High-Tech“ der programmierten Fließband-Sectio unsere ureigene Kunst, das „High-Touch“ zur Maxime der Geburtshilfe des 21. Jahrhunderts zu erheben.
Was empathisch arbeitende und handwerklich kompetente Hebammen mit dem von mir so benannten „High-Touch“ leisten, wird zunehmend, da nur schwer zu evaluieren, abgewertet. High-Touch, die Kunst des einfühlsamen, wissenden Begleitens mit gutem Handwerk (best practice) ist nur zum Teil vermittel- und erlernbar, manche Feinheiten des sanften Untersuchens und die Schulung der Intuition entwickeln sich nur auf Basis langer Erfahrung und mit vielem Üben. Zeit zum Zuhören, einfühlsame Berührung, sensible Kontaktaufnahme zu Frau und Ungeborenem und ein eigenständiges Handwerk sind das, was unsere Arbeit von anderen Berufsgruppen unterscheidet.
Diese Fähigkeiten machen originäre Hebammenbetreuung einzigartig und unaustauschbar, ein wesentliches Qualitätsmerkmal ist die persönliche Zuwendung und individuelles Betreuen der einzelnen Frau – zugeschnitten auf ihre wirklichen Bedürfnisse.
„Unter Schmerzen sollst Du gebären…“
Wir Evas, mit der Verteibung aus dem Paradies für unsere sexuelle Neugier und „zügelloses“ Begehren bestraft, haben jetzt die Wahl, wie wir die Zukunft gestalten wollen.
Der vermeintlich leichte „Wunsch“-Kaiserschnitt bedeutet eine technikbestimmte, durchgeplante Geburtsmedizin, die die Frau per se und mit voller Absicht verletzt und zur Patientin macht. Sie nimmt der Frau ihre Stärke und Kompetenz und bringt sie in Abhängigkeit – und, betrachten wir die vielen Folgen, lebenslang hält.
Wir freiberuflichen Hebammen im BfHD schlagen „High-Touch“ vor: eine empathische Begleitung der schwangeren und gebärenden Frau, die sie als gesunden Menschen mit hoher persönlicher Kompetenz sieht und sie nach ihren individuellen Bedürfnissen bestmöglichst betreut.
Eine Betreuung, die keine Wunden und Narben, weder am Körper noch an der Seele hinterlassen soll, sondern die (be-)stärkt, fördert und – oft – auch alte Verletzungen heilen kann.
Copyright: Jutta Ott-Gmelch, Frankfurt/Main
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