Sind stillende Frauen eine Risikogruppe für Eisenmangelanämie? – von Ted Greiner, PhD

(Überarbeitung einer Arbeit, vorgestellt bei „The First National Workshop on Nutritional Anemia“, Dar es Salaam, Tansania, 1. – 5. Juli 1991)

Stillen schützt eine der höchsten Risikogruppen vor Anämie – ein interessantes Beispiel für eine Situation in der Natur, in der es nur Gewinner gibt.

Eisenmangelanämie ist gemeinhin bekannt, eine Krankheit schwangerer und stillender Frauen zu sein. Solche Äußerungen sind aus zwei Gründen irreführend.

Erstens, ein großer Teil der Frauen in vielen Entwicklungsländern sind im gebärfähigen Alter entweder schwanger oder stillen und sollten daher während ihrer fruchtbaren Jahre kaum als nicht den Risikogruppen zugehörig angesehen werden.
Dies zeigt sich in den Vorkommensraten der Anämie sowohl in Industrie- als auch Entwicklungsländern nach DeMayer u.a. (1989), wie die folgende Auflistung zeigt:

Geschätztes Vorkommen (in %) von Anämie in 1980
Industrieländer
14% der Schwangeren
11% aller Frauen zw. 15 und 49 Jahren

Entwicklungsländer
59% der Schwangeren
47% aller Frauen zw. 15 und 49 Jahren

Aus ähnlichen Gründen ist sicher eine große Anzahl stillender Mütter in den meisten Ländern, vor allem armen, anämisch. Daher ist es richtig, sie mit allen anderen Frauen im gebärfähigen Alter einzuschliessen in die Gruppe, auf die Eingriffe abzielen.

Nichtsdestotrotz, der zweite irreführende Aspekt der Aussage „Anämie ist eine Krankheit schwangerer und stillender Frauen“ ist, dass sie impliziert, dass Schwangerschaft und Stillen Teil der Ursache der Anämie sind. Während dies absolut zutrifft auf die Schwangerschaft, v.a. wenn die Abstände zwischen den Geburten gering sind, gilt doch das Gegenteil für die Stillzeit.

Stillen senkt das Risiko, eine Eisenmangelanämie zu entwickeln, besonders für die Frauen, die das höchste Risiko dafür haben.

Dieser Punkt wird, wenn überhaupt, dann selten in der Literatur über Ernährungsmängel oder in Arbeiten über die Vorteile des Stillens erwähnt. (Tatsächlich wird den Vorteilen des Stillens für die mütterliche Gesundheit nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet – normalerweise wird das Stillen vage betrachtet als eine Last für die Gesundheit der Frau.) Doch kann dieser Vorteil leicht dargestellt werden bei einer Betrachtung der Daten, die DeMayer u.a. zur Verfügung stellen.

DeMayer u.a. schätzen, dass der menstruale Eisenverlust einer Frau durchschnittlicher Körpergröße 0,8 mg/Tag beträgt. Sie weisen hin auf verschiedene Studien (mit verschiedenen enthnischen Gruppen), die herausgefunden haben, dass der menstruale Blutverlust bei jeder einzelnen Frau von Monat zu Monat relativ wenig schwankt, jedoch stark variiert von Frau zu Frau. Diese Schwankung ist auch stark ungleichförmig. Der mittlere Blutverlust bei jeder Menstruation ist etwa 25 – 30 ml. Verteilt über eine 28-Tage-Periode ergibt dies einen mittleren Eisenverlust von 0,4 mg/Tag. Aber 2,5% der Frauen verlieren viermal mehr Eisen als das, im Durchschnitt 1,6 mg/Tag.

DeMayer u.a. sagen aus, dass die Durchschnittsmenge an Eisen, die in Muttermilch abgesondert wird, etwa 0,3 mg/Tag während der ersten 6 Monate beträgt und dieses niedrige Niveau offensichtlich allgemeingültig ist – es kann nicht angehoben werden durch zusätzliche Eisenzufuhr bei der stillenden Frau. Dieser Verlust von 0,3 mg Eisen pro Tag würde absinken, sobald anderes Essen Muttermilch verdrängt. In den frühen Monaten des Lebens würde jedes Essen oder jede Flüssigkeitszufuhr die Muttermilch verdrängen, vor allem, wenn in großer Menge gegeben. Aber mit 4 – 6 Monaten braucht der Säugling mehr Kalorien für das optimale Wachstum als Muttermilch bereitstellen kann. In diesem Alter kann eine Ergänzung stattfinden, ohne dass die Muttermilch ersetzt wird, wenn zusätzliches Essen gegeben wird, falls das Baby nach dem Stillen noch hungrig ist.

Wenn diese Form des Vollstillens angewendet wird, wird die nachgeburtliche Amenorrhö für mehrere Monate andauern. Je intensiver und je länger eine Frau stillt, desto länger wird diese Still-Amenorrhö andauern. Die andere wichtige Ursache der Variabilität in der Länge der nachgeburtlichen Amenorrhö ist Unterernährung der Mutter, obwohl dieser Effekt nicht groß ist, solange die Unterernährung nicht stark ist (Short, 1984; Consensus Statement, 1988). Je unterernährter die Mutter ist, desto länger dauert die Periode der Still-Amenorrhö.

Bei einem mittleren Level an Blutverlust während der Menstruation könnte eine Frau etwa soviel Eisen über die Muttermilch verlieren, wie sei durch das Ausbleiben der Regel aufspart, zum Beispiel, wenn sie ein Jahr stillt und neun Monate Amenorrhö hat. Wie auch immer, bei denjenigen Frauen, die das meiste Blut während der Menstruation verlieren, reduziert das Stillen insgesamt den Eisenverlust. Zum Beispiel, diese 2,5% der Frauen, die 1,6 mg/Tag an Eisen verlieren, würde 6 Monate Vollstillen 54 mg Eisen „kosten“, aber 48 mg davon würden bereits „gespart“ bei der ersten Menstruation, die zusätzlich ausfällt. Ein Jahr Stillen, das zu 9 Monaten Amenorrhö führt, würde somit 324 mg „gespartes“ Eisen bedeuten. Und genau diese Frauen, die viel Blut bei der Menstruation verlieren, sind es, die das höchste Risiko für eine Eisenmangelanämie tragen.

Einige mögen anmerken, dass es missverständlich ist, aus der obigen Argumentation heraus zu sagen, dass das Stillen das Anämierisiko für Frauen reduziert, da viele Frauen früh Beikost einführen, oftmals auf Zwiemilchernährung zurückgreifen und daher keine besonders lange zeit der still-Amenorrhö haben.

Tatsächlich unterstützt dies jedoch mein Argument: es ist die Flaschenfütterung oder das Fehlen des Vollstillens, die solchen Frauen den Schutz vorenthalten, an dem sie sich anderweitig durch das Stillen hätten erfreuen können.

Referenzen
Consensus Statement, 1988. Breastfeeding as a family planning method. Lancet 2:1204-1205.
DeMayer E., et al, 1989. Preventing and controlling iron deficiency anaemia through primary haelth care. A guide for health administrators and programme managers. WHO: Geneva.
Short RV, 1984. Breast-feeding. Scientific American 250:23-29.


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